Universität Zürich - Weiterbildung - 'Konstruktives Wissensmanagement' - Vortrag 13.9.2001

Wie Sie Ihre Organisation mit anderen Augen sehen könnten:
Eine konstruktivistische 'Wissensperspektive'
als Grundlage von Wissensmanagement

 Marco C. Bettoni
Fachhochschule beider Basel - FHBB 

Einleitung


Drei Kernaussagen
 

Das Material, dass ich für unsere Reflexion vorbereitet habe lässt sich in drei Punkte zusammenfassen und dementsprechend möchte ich auch jetzt mein Vortrag gestalten:

  1. Wissensmanagement sehe ich als Mittel um den Umgang mit Wissen zu organisieren
  2. Dies erfordert eine Wissensperspektive die den Menschen in den Mittelpunkt setzt
  3. Um den Menschen in den Mittelpunkt zu setzen ist eine konstruktivistische Auffassung von Wissen 'viabler' als die objektivistische (dogmatische) Auffassung.

- eine Orientierungshilfe entwickeln die jedem im Dschungel der widersprüchlichen Meinungen und Behauptungen über WM hilft seinen eigenen Weg zu finden: eine Art Kompass.

 1.  Wissensmanagement als Mittel um den Umgang mit Wissen zu organisieren

1.1 Umgang mit Wissen

1.2 organisieren (systematisch regeln oder gestalten)

- Fallbeispiele und Wissensaufgaben

2.  Eine Wissensperspektive die den Menschen in den Mittelpunkt setzt

Um Wissensmanagement zu machen muss das Unternehmen (Mensch, Technik, Organisation, Projekte, Produkte) aus der Sicht des Wissens (Wissensperspektive) betrachtet werden [G. Probst zietieren].

Grundthese ('Blickrichtung' der Wissens-Sicht):

* Um Erfolg zu haben muss ein Unternehmen sein Firmenwissen bestmöglich aktualisieren und nutzen (einsetzen).

[Begründung siehe Abschnitt 'Die Herausforderung' im WMP-Kurs]

Um dies zu tun muss folgende Hauptaufgabe gelöst werden:

* Mitarbeiter, als zentrale Wissenstragende, müssen gefördert [knowledge nurturing, nach Patricia Seeman; Kopfarbeiter-Management, nach Prof. Malik] werden und deren stille Wissen muss - zusammen mit dem expliziten Wissen - zum Erfolg der Firma bestmöglich genutzt werden.

[Begründung siehe Abschnitt 'Die Herausforderung' im WMP-Kurs]

 Dies kann in folgende Teilaufgaben gegliedert werden:

1. Individuelles Wissen, das geschäftsrelevant ist, soll bestmöglich erworben und entwickelt werden.

2. Dieses individuelle Wissen soll bestmöglich in der Firma beschrieben und ausgetauscht (d.h. verfügbar, zugänglich, angeeignet) werden (= kollektives Wissen)

3. Kollektives Wissen soll bestmöglich genutzt und bewahrt werden.

Was muss nun getan werden um die Teilaufgaben 1, 2, und 3 zu erfüllen? Das allgemeinste Lösungsprinzip lautet:

* die in den Teilaufgaben genannten Arten des Umgangs mit Wissen sollen als 'Wissensprozesse' betrachtet (aufgefasst) und im Unternehmen systematisch organisiert ('gemanagt') werden.

Demnach ist 'Wissens-Management' = das Management der 6 Wissens-Prozesse beschreiben (identifizieren, klassifizieren, modellieren unstruktutriert, modellieren strukturiert), erwerben, entwicklen, austauschen, nutzen und bewahren von Wissen

 

3. Eine konstruktivistische Auffassung von Wissen ist 'viabler' als die objektivistische

3.1 Wissen als "Modell der individuellen Erfahrung des Wissensträgers"

(M)eine konstruktivistische Auffassung von Wissen: Wissen sollte nicht als "Abbildung der (personenunabhängigen) Realität" sondern kann viel besser als "Modell der individuellen Erfahrung des Wissensträgers" verstanden werden. 'Besser' meint: weniger Widersprüche und Paradoxen, mehr Konsistenz und Kohärenz.

"Modell der Erfahrung" meint ein (kohärentes, konsistentes) System von Verallgemeinerungen von vielen Einzelerfahrungen zu allgemeinen Regeln [Prinzip, Postulat, ?] die jene Erfahrungen unter sich vereinigen.

Wenn ich z.B. einen Fahrrad betrachte, dann sagt die Abbildtheorie, dass dieser Fahrrad in meinem Kopf als Abbild entsteht, wie in einer Fotografie; es ist jedoch 'viabler' anzunehmen, dass es als Modell meiner Erfahrungen (des Wahrnehmens und des Handhabens) konstruiert wird.

Das Wahrnehmen wird ungerechterweise gegenüber dem Denken weniger geschätzt: sollte stark aufgewertet werden, denn dies ist der Ort an dem Kreativität zu Stande kommt.

Diese Kreativität macht es, dass das Kleinkind überhaupt anfangen kann sich einige Denkinhalte zusammenzustellen: gleich kommt aber die zweite Stärke des Gehirns auf dem Plan: die Fähigkeit etwas Neues gleich wie etwas Altes (bereits im Kopf bestehendes) zu behandeln. De Bono nennt es u.a. die "Zentrierung von Mustern" und veranschaulicht es mit der Metapher von Regenwasser, das von Bergflanken bis zur Mitte des Tals zusammenfliesst [1990, S.60] . Das Gehirn lässt das Neue in das Bestehende eingehen (subsumiert das Neue unter dem Bestehendem). Diese überlebensnotwendige Strategie ist derart optimiert, dass Wahrnehmung sehr schnell geschieht. Diese Schnelligkeit machte es fast unmöglich nachzuvollziehen, was geschieht: so kam es, dass die Menschen die Illusion entwickelten und immer mehr festigten, dass in der Wahrnehmung die Realität abgebildet wird.

3.2 Wissen autopoietisch verstehen

Da betrachte ich Wissen zunächst als Ergebnis des Tuns, als das, was durch Kognition hervorgebracht wird. Dieses Tun wird unter anderem durch kognitive Funktionen bestimmt und führt [unter anderem] zum Ergebnis 'Wissen'.

Dieses Wissen wird aber auch zu den kognitiven Funktionen zurückgeführt und dies ist jetzt die Stelle wo die autopoietische Idee einfliesst. Diese Rückführung [oder Rückkopplung], dieses Feedback ist so, dass das zurückgeführte Wissen ein Teil der kognitiven Funktionen wird: Es ist nicht nur ein Ergebnis sondern - dank Feedback - erweitert es das Potential, das Vermögen der Kognition (siehe Fig. 1).

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Figur 1 - Anatomie des Wissens: Ergebnis und Werkzeug des Tuns

In der Sprache der Kybernetik würde man hier [für die in Fig. 1 dargestellte Elemente] von Operation (Tun), Operand (Wissen) und Operator [kogn. Funktionen] sprechen; der zurückgeführte Operand wird zu einer Funktion, erweitert den Mechanismus von dem er selbst hervorgebracht worden ist.

Und so wächst das ganze System - angedeutet in Fig. 1 durch die gestrichelten Linien - d.h. indem das System aktiv ist wächst es auch in seinem Vermögen: das ist die Grundidee der Autopoiese und ich versuche sie eben auf Wissen anzuwenden.

Damit Wissen aber Teil von Funktionen wird, kann es nicht etwas statisches sein, sondern muss einen dynamischen Aspekt haben, einen Funktions-Aspekt. Das ist anders als bei den Maschinen wo ein Produkt einer Maschine nicht Teil des Mechanismus wird. Ein Produkt kann zwar zurückgeführt werden zum Mechanismus aber es wird nicht Teil der Funktionalität. Das könnte man in Prinzip in der Software machen, macht es aber nicht [weil das noch nicht beherrscht wird].

Autopoiese und Selbstorganisation

Das war also das autopoietische Verständnis von Wissen. Der Loop dabei, die Schleife, das ist auch eine Grundlage der Modellierung von Selbstorganisation. Ideen in dieser Richtung findet man schon bei Jean Piaget in seinem Buch 'Biologie et connaissance' von 1967.

Da versucht er auch die Hypothese zu untermauern, dass die Organisation von Kognition isomorph sein könnte mit der Organisation des Lebewesens als physisches System. 'Isomorph' bedeutet hier, 'analog' im Sinne von strukturell gleich aufgebaut so, dass wenn man die Organisation des Lebens in den Zellen und Organismen versteht, man dann auch die Organisation der Kognition versteht.

Bei Piaget ist aber das autopoietische Konzept nicht dabei [er beschränkt sich noch auf Regelung]; Maturana hatte in 1967 - als Piaget sein Werk veröffentlichte - seine Idee der Autopoiese noch nicht publiziert. Erst 1972 erschien [in Chile] die [spanische] Originalversion von 'Autopoiesis and Cognition' das 1980 [als Piaget starb] in englischer Übersetzung publiziert wurde.

Das ist das Hauptbuch von Maturana und von dort habe ich dieses Konzept, wobei sich Maturana wohl mit Kognition befasst aber nicht mit dieser Form von Autopoiese wie ich sie für Wissen entwickeln möchte. Was ich mache ist nicht sehr verschieden aber doch eine kleine Erweiterung. Wie gesagt, das Ziel wäre Wissen autopoietisch im genannten Sinne zu verstehen. [Auf dem Weg zu diesem Ziel bin ich jetzt an einem wichtigen Meilenstein angelangt].

Stilles und explizites Wissen

Im Bereich des Wissensmanagement unterscheide ich zwei Zustände des Wissens - auch da habe ich gewisse Ideen aus bestehenden theoretischen Ansätzen des Wissensmanagements übernommen und versuche nun das mit meinem autopoietischen Wissens-Konzept zu verbinden.

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 Figur 2 - Anatomie des Wissens: die 2 Zustände

 Ich unterscheide also zwei Zustände des Wissens, 'tacit knowledge' und 'explicit knowledge'. Leider wird 'tacit' oft mit 'implizit' übersetzt: ich verwende hingegen 'stilles Wissen' weil implizit 'mitgemeint' bedeutet, wogegen 'tacit' nicht auf 'mitmeinen' beschränkt ist.

Beispiel: Fragen formulieren

Da wäre stilles Wissen die Frage wenn sie noch im Kopf ist, wenn z.B. jemand versucht eine Web-Seite mit einem Frame zu machen und es gelingt ihm nicht [und er fragt sich wie das gehen könnte]. Wenn er dann seine Frage formuliert, dann wird sie zum expliziten Wissen.

Die in Fig. 2 verwendete Metapher des Icebergs will veranschaulichen, dass das explizit vorhanden Wissen nur ein kleiner Anteil dessen ist, was [in einer Person] in stiller Form vorhanden ist. Eine weitere Metapher [für das Verhältnis zwischen stillem und expliziten Wissen] die für mich z.Z. wichtig ist, ist die des Schattens. Im Beispiel der Frage von vorhin: die formulierte Frage ist für mich wie der Schatten der Frage im Kopf.

Die Frage im Kopf ist dieses dynamische Wissen, das autopoietisch organisiert ist, und wenn man sie ausdrückt mit Wörter, Diagramme, Zeichnungen usw. dann kann man schon gewisse Aspekte des stillen Wissens festhalten, erhält aber eine [grundsätzlich] neue Form von Wissen wobei das Verhältnis zwischen den zwei wie das Verhältnis des Schattens (formulierte Frage) zu seinem Gegenstand (Frage im Kopf) ist.

Explizites Wissen ist wie der Schatten des stillen Wissens weil stilles Wissen dynamisch ist und autopoietisch funktioniert, lässt den Mechanismus - von dem es hervorgebracht wurde - wachsen. Hingegen ist das explizite Wissen - der Text, die Wörter der Frage auf einem Datenträger - fest und statisch ist. Wenn ich das interpretiere, den Text lese z.B., dann mache ich wieder daraus etwas dynamisches [das in mir das Vermögen zu Wissen wachsen lässt]. Explizites Wissen ist auch in einer Organisation wie man den Fertigungs-Prozess (Px) organisiert hat: man hat Maschine A, B und C nacheinander gestellt, was auf stillem Wissen basiert aber wenn es physikalische Form annimmt [die Reihe von Maschinen], dann wird es explizites Wissen über den Prozess (Px). Oder wenn man eine Anweisung schreibt, wie eine Maschine zu bedienen ist, dann hat man auch explizites Wissen aber derjenige der die Anweisung schreibt, der weisst natürlich viel mehr, das ist sein stilles Wissen wobei nicht alles was im stillen Wissen vorhanden ist in expliziter Form herauskommt.

Jetzt wieder zurück zu diesem Beispiel über das Formulieren von Fragen statt in Bücher zu schauen: in Bücher findet man nur das explizite Wissen, nur den Schatten. Wenn man jemandem die Frage stellt dann hat man mehr Chancen, dass man sich das stille Wissen von anderen für einen spezifischen Fall zu nutze machen kann. Man sucht nicht bereits unter Wissen in expliziter Form sondern stellt zunächst die Frage an einer Person - Träger des stillen Wissens können nur Personen sein, das sollte auch unterstrichen werden.