Salzburger Nachrichten am 27. Januar, 2001 - Bereich: wissenschaft


Hirnquanten

Die Quantenphysik scheint die Neurobiologie als Leitwissenschaft innerhalb der Kognitionswissenschaften abzulösen. Auf einem Luzerner Symposium sprachen vor allem Physiker und Mathematiker zur Erforschung des Bewusstseins.

STEFAN WEBER


W enn ein weltbekannter Mathematiker und ein herausragender Mediziner zusammenarbeiten, kann im besten Fall eine neue Theorie des Bewusstseins herauskommen: Sir Roger Penrose, Mathematiker an der Universität Oxford, und Stuart Hameroff, Anästhesiologe an der Universität von Arizona, wollten ein paar Ebenen tiefer schauen als die Bewusstseinsphilosophen, Biologen, Chemiker und Neurologen vor ihnen. Nicht mehr neuronale Netze interessierten sie, sondern Quantenzustände in innerzellulären Proteinstrukturen, den so genannten Mikrotubuli. Das Gehirn baue sich im Nanobereich letztlich aus Quantenbits (qubits) auf, die die Zustände 0, 1 und ,0 oder 1' annehmen könnten, lautet die verblüffende Annahme von Penrose und Hameroff. Sie nennen ihre Theorie, an der sie bereits seit Beginn der neunziger Jahre arbeiten, "orchestrierte objektive Reduktion" (Orch OR). Deren Kernaussage: "Ein bewusstes Ereignis stellt sich ein, wenn eine genügende Menge von Proteinmolekülen sich in Übereinstimmung mit der Quantenmechanik kohärent bewegt, so dass sich die OR (objektive Reduktion) spontan einstellt und über eine große Region des Gehirns verteilt." Bewusstsein resultiere somit quantenmechanisch gesehen aus dem Kollaps der Wellenfunktion.

In Luzern wurde das Hameroff-Penrose-Modell kontrovers diskutiert: Auch der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger möchte Information im Gehirn quantenphysikalisch erklären. Er kritisierte jedoch das Orch OR-Modell als zu realistisch, womit der Streit über die philosophisch korrekte Interpretation der Quantenwelt(en) eine Neuauflage erfuhr. Der Tübinger Chaosforscher Otto E. Rössler fasste jenen OR-Bereich, in dem laut Penrose und Hameroff Bewusstsein entsteht, als ein "Interface" zwischen Quantenwelt und klassischer Welt auf, wobei er jedoch die beiden letzteren durch die Begriffe "Endowelt" und "Exowelt" ersetzte. Seine Spielart der Quantenphysik sollte eine Weiterentwicklung darstellen, er nannte sie "Endophysik".

Auf dem zweitägigen Luzerner Symposium am vergangenen Wochenende wurden die einzelnen erkenntnistheoretischen Positionen zur Quantentheorie des Bewusstseins deutlich: Möglich sind realistische Interpretationen, wonach es die Quantenwelt "wirklich gibt", aber auch konstruktivistische Interpretationen, wonach die Quantenwelt lediglich unsere Konstruktion ist.

Im Anschluss an das nondualistische Erkenntnismodell des Klagenfurter Philosophen Josef Mitterer wurden auch neue Positionen diskutiert, die die Frage nach dem Realitätsstatus der Quantenwelt obsolet erscheinen lassen.

Was zu erwarten war: "Das Rätsel des Bewusstseins", so der Symposiumstitel, blieb ungelöst. Quantenphysikalische Bewusstseinstheorien erinnern an ihre neurobiologischen Vorgänger, die ebenfalls reduktionistisch argumentieren.

Und die erkenntnistheoretische Verwirrung scheint mit ihnen eher zuzunehmen. "Vor lauter Menschen, die das Rätsel des Bewusstseins lösen wollen, haben wir vergessen, wer es eigentlich gemacht hat", so Mitterer in der Diskussion.