Praktisches Wissen in Firmen besser nutzen
Das Zauberwort dafür heisst Wissensmanagement. Eine relativ neue Disziplin, bei der es darum geht, Know-how von Mitarbeitenden eines Unternehmens zu bewirtschaften. Professor Marco Bettoni forscht auf diesem für das Überleben von Firmen immer wichtiger werdenden Gebiet.
Die Fachhochschule beider Basel FHBB, zu der das CIM-Zentrum Muttenz gehört, sei ein klassischer Fall einer «Wissensfirma», erklärt Professor Marco Bettoni, der vom Maschinenbau her kommt und in die Informatik eingestiegen ist, weil ihn Wissenstechnologien insbesondere die sogenannte künstliche Intelligenz interessieren. «Unsere Studenten erwarten von unseren Aus- und Weiterbildungsangeboten in erster Linie den Austausch von Wissen. Unser Geschäft ist also ein Geschäft mit dem Wissen.» Auch die Kunden, kleine und mittlere Unternehmen KMU der Region, die sich von den Dozenten des CIM-Zentrums beraten lassen, erwarten dies, zum Beispiel an Vorträgen oder Kursen, wie beim Kurs «Wissensmanagement für Praktiker». Als ein externes Projekt, das er zusammen mit der Steuerverwaltung Baselland durchführt, nennt Bettoni die Automatisierung der Auswertung von Steurerklärungen. «Wir können den Veranlager zwar nicht ersetzen, aber ihn bei der grossen Menge routinemässiger Vorgänge unterstützen. Voraussetzung dafür ist, das Wissen der Veranlager in einer computerverträglichen Form zu modellieren.»
Professor Bettoni spricht ein zentrales Problem an: «Erst grosse Unternehmen verfügen heute über einen Chief Knowledge Officer, der dafür besorgt ist, dass Wissen, das in der Firma durch Fachleute mit entsprechender Erfahrung entwickelt wurde, auch bei Personalwechseln nicht verloren geht, sondern mit geeigneten Instrumenten (Internet, Intranet usw.) den Nutzern im eigenen Betrieb zur Verfügung steht.» Etwa den Servicetechnikern eines Kopierapparateherstellers. «Wenn ein neues Gerät auf den Markt kommt, müssen alle weltweit sofort wissen, wie man damit umgeht. Mit Wissensmanagement kann der Einzelne sein entsprechendes Know-how unmittelbar anderen zur Verfügung stellen.» Dafür müsse dieser jedoch von Seiten seiner Firma die Gewissheit haben, dass er sich durch die Weitergabe dieser Erfahrung nicht selbst schade.
Das meiste Wissen der Mitarbeitenden eines Unternehmens liegt wie bei Eisbergen unter der Wasseroberfläche.
Forschung auf einem neuen Gebiet
Was ist Wissensmanagement? Der wichtigste Ansatz dabei sei, sagt Marco Bettoni, das Unternehmen aus der Sicht des Wissens zu betrachten. Grundthese dieser Sichtweise sei, dass ein Unternehmen, um Erfolg zu haben, sein Wissen bestmöglich bewirtschaftet, das heisst analysiert, bewahrt, aktualisiert und vor allem nutzt. «Erst dann ist es längerfristig konkurrenzfähig, denn Kompetenz entsteht durch die Kombination von Fachwissen und praktischer Erfahrung.» Der Mensch habe die Fähigkeit, sich Neuem anzupassen und entwickelt dabei "Erfahrungswissen», Know-how, das ohne entsprechenden Einsatz aber nichts nützt. Um dem abzuhelfen, arbeitet Bettoni auf der Basis des Systems, das vom Genfer Professor Gilbert Probst entwickelt wurde, weiter. «Probst hat erkannt, dass es beim Wissensmanagement um kontinuierliche Prozesse geht, beispielsweise um den Prozess des Wissenserwerbs oder des Wissensaustausches.
Erst wenn man diese Prozesse versteht, kann man individuelles und kollektives Wissen identifizieren und beschreiben und nach eingehender Analyse dieser Vorgänge Lücken feststellen und konkrete Lösungen umsetzen.»
Wissen werde deshalb immer wichtiger, weil wir uns in Richtung einer «Wissensgesellschaft» bewegen und, wie Studien zeigen, das vorhandene Wissen zu wenig oder zu wenig effektiv nutzen. Um dies zu ändern, muss bei vielen Unternehmern allerdings zuerst die Erkenntnis reifen, wie wichtig Wissen für ihr Überleben in einem rasant sich verändernden Umfeld überhaupt ist. «Wissensträger müssen anerkannt und gezielt gefördert werden.»
Bettoni stellt die in der heutigen Zeit offenbar noch provokative These auf: «Ohne das Know-how der Mitarbeitenden ist eine Firma schlicht verloren.»
Peter O. Rentsch
Marco C. Bettoni, FHBB - 23.01.02