1. Teil
2. Teil
ROLF | Ich kann mit den Aeusserungen von Robert sehr viel anfangen und das meine
ich in einem ganz praktischen Sinn: Anfangen mit eigenen Konstruktionen, mit eigenen
Aeusserungen, die für mich zu den Aeusserungen von Robert passen, aber eben doch mir
eigene Aeusserungen bleiben. Ich will deshalb das, was ich mit Roberts Aeusserungen
anfange, selbst äussern: Wir beschäftigen uns indem Sinne mit "uns", dass
jeder von uns sich mit sich selbst beschäftigt, aber keiner sich mit "uns
dreien". Dann liesse sich die naive Frage stellen, weshalb wir trotzdem zusammen -
hier unter dieser schönen Platane - liegen und sprechen. Die Platane "produziert" den Sauerstoff, den wir verbrauchen. Wir produzieren den Stickstoff, den die Platane braucht. Meines Erachtens sind wir und die Platane uns gegenseitig sehr nützlich, ohne dass wir dies Absicht auch nur im entferntesten verfolgen würden. Wir nennen dieses Phänomen Co-Evolution. Wir wie die Platane sind mit unserer Evolution befasst: das, was wir für uns tun, nützt den andern. Wenn ich Sauerstoff verbrauche, dient das der Plantane und wenn ich mich äussere, dient das jenem, der mit meinen Aeusserungen etwas anfangen kann, ohne dass es dazu irgendwelche Absichten meinerseits braucht. Vielmehr scheint mir, dass Absichten allen Nutzen zum Verschwinden bringen. Die Definitionen, die unser Freund angesprochen hat, sind in der Tat frustrierend, weil sie lehren statt erklären. Das hat aber nichts mit den Definitionen zu tun, sondern damit, dass sie in der (Hoch)Schule in bestimmter Absicht gebraucht werden. Das Lexikon, das ich für mich schreibe, dient mir sehr. Wenn es jemandem anderen auch nützt, dann spreche ich von Ko-Evolution. Das Lexikon schreibe ich aber für mich. Um auch nochmals auf unserem Pferd zu reiten: Ich würde es schlicht grossartig finden, wenn wir mentale Operationen zu "Pferd" formulieren könnten, ich finde es aber auch schon ganz unterhaltsam, wenn wir die sprachlichen Kon-Texte zum Textteil "Pferd" finden können, die für uns Sinn machen. Lieber Freund, mit "finden" meine ich hier aber nicht, dass mir die Verwendung des Wortes klar ist, sondern dass ich darüber sprechen kann, wie oder wo - in welchen Kon-Texten - ich das Wort verwende. Lass mich noch anfügen: es gibt in dieser Hinsicht sehr verschiedene Wörter. "Pferd", "Wissen", "und" und "Maschine" stellen sehr verschiedene Anforderungen an uns, ob wir nun Kontexte oder mentale Operationen suchen. |
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FREMDER | Ich bin mit Robert einverstanden, dass der einfache Ersetzungsmechanismus
uns helfen kann Äusserungen zu begreifen. Auch Rolf stimme ich zu, dass das Frustrierende
in meiner Schulerfahrung eher auf schulische Absichten und Verfahren zurückzuführen ist.
Mit meiner eher emotionellen als rationellen Kritik wollte ich primär zu bedenken geben, dass nur zu sagen, welche Wörter ich durch welche ersetzen kann, nach meiner Erfahrung zu wenig ist. Rolf sagte doch auch, dass wir in zwei ganz verschiedenen Richtungen gleichzeitig voranschreiten könnten. Ich sehe sogar 3 Wege, oder 3 Dimensionen eines "Erklärungs-Raumes" für zu erklärende Wörter oder Äusserungen: 1. Namenserklärung: Angabe der Wörter, die das zu erklärende Wort ersetzen können ("Im Stall sah ich ein sehr schönes Tier mit Huf und Mähne"). Dabei wird der Referent des zu erklärenden Wortes ebenfalls ersetzt, nämlich mit den Referenten der ersetzenden Wörter. Ogden und Richards schrieben kürzlich [Er zieht einen Zettel aus der Tasche und zitiert]: "The reply to the question what any word or symbol refers to consists in the substitution of a symbol or symbols which can be better understood. Such substitution is Definition. It involves the selection of known referents as starting-points, and the identification of the definiendum by its connection with these."8. 2. Operationelle Erklärung: Angabe von Operationen (generativer Mechanismus), die, wenn sie ausgeführt werden, dasjenige mental generieren, worauf mit dem zu erklärenden Wort physisch (auditiv, visuell, usw.) hingewiesen wird. Durch die operationelle Erklärung kann die "semantische Beziehung" erklärt werden, d.h. der Zusammenhang zwischen einer Operations-Folge (einem Muster) und einer Folge von Lauten, Buchstaben, Bilder, usw. (was die Namenserklärung nicht erklären kann). Der Referent eines Wortes ist also etwas dynamisches, nämlich die Folge ausgeführter Operationen. 3. Systemerklärung: Angabe von Kontexten in denen das zu erklärende Wort angewendet wird, also integriert werden kann ("Besuch im Bauernhof", "Lesen eines Kinderbuches", "Wie ernähre ich mein Pferd ?", usw. als Kontexte für "Pferd"), Verknüpfung der Kontexte zu einem System (ganzheitliche Betrachtung) und Verallgemeinerung (Theorie). |
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[ Er krizelt die drei
Bezeichnungen auf seiner Wachstafel, oben "Namenserklärung", unten links
"Operationelle Erklärung" und unten rechts "Systemerklärung".
Dann verbindet er sie mit den Kanten eines Dreiecks] |
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Sollten wir also, um die Äusserung "Begriff" zu erklären, zu begreifen, sowohl die Namenserklärung als auch die operationelle Erklärung und die Systemerklärung - alle drei koordiniert - in der Fortsetzung unseres Dialogs zu entwickeln versuchen ? | |||||||||||||||||||||
ROLF | Je mehr Erklärungen wir haben, umso besser. An dieser Stelle gefällt mir
der ethische Imperativ meines Freundes Heinz: Erhöhe die Anzahl der Mölichkeiten ! Und jetzt fällt mir wieder ein, dass ich meine vorher gestellte Frage nicht fertig beantwortet habe: Warum sprechen wir miteinander, warum führen wir den Dialog ? Eben weil mehrere Menschen leichter mehrere Möglichkeiten finden. Das ist ja gerade der Witz des Dialoges. Jeder spinnt seinen Faden weiter und wir sehen zu, wie sie sich verweben, so dass wir auf einer höheren Ebene allmählich ein wunderbares Gewebe entdecken, wiewohl wir mit einzelnen Faden beschäftigt sind. Diesen Effekt nennen wir gemeinhin Emergenz, ein neueres Wort dafür - das auch Heinz geprägt hat - ist Selbstorganisation. Wir müssen also keineswegs darauf achten, dass wir zusammenkommen; wenn sich jeder von uns in seinem Sinne sinnvoll verhält, können wir gar nicht umhin. Deshalb will ich vorerst in meiner - wie Du es nennst - verkörperten Erfahrung bleiben. Ich schlage vor, dass wir unser Sprachspiel auf der Ebene der Ersetzungen etwas analysieren. Ich muss Euch nicht warnen, weil ihr verständig seid. Was ich vorschlage, soll die Sache für mich stimmiger machen. Also: Lass uns klären, ob wir die Wörter, die wir jetzt schon längere Zeit zusammen verwenden, durch gleiche andere Wörter ersetzen. Ich sage: Ein Begriff ist ein Ausdruck, der für eine Definition steht. Mit Ausdruck meine ich ein Wort, resp eine Buchstabenkette. Eine Definition ist - innerhalb des Ersetzungsmechanismuses logischerweise - auch ein Ausdruck, der eine bestimmte Form hat. Bedeutung kommt den Gegenständen zu, also den Wörtern, aber nicht den Worten. Wörter sind physische Gegenstände, Worte dagegen sind - ich weiss es eigentlich nicht ... In Deiner Sprache etwas Mentales. Mir ist aufgefallen, dass im Brief, den Robert vorgelesen hat, Begriff und Bedeutung synonym verwendet wurde, was in meinem Sprachspiel gar keinen Sinn macht. Wollt ihr also auch erläutern, wie ihr diese und andere von uns verwendeten Wörter ersetzt, auch wenn das nur die einfachste Geschichte in unserer Aufgabe ist? |
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ROBERT | Ich wende mich zunächst der Analyse zu und frage mich und damit Euch, wie wir entscheiden ob Satz und Er-Satz zusammenpassen. Mir fällt dazu das Beispiel der Erdbeerfrucht ein, die der marktfahrende Bauer aus naheliegenden Gründen zu den Beeren legt, die für den Biologen aber aus nicht minder triftigen Gründen zu den Nüssen zählt. Es stellt sich demnach nicht nur die Frage, welche Wörter ich durch welche ersetze, sondern welchen Standpunkt ich einnehme, wenn eine bestimmte Ersetzung in meinem Sprachspiel Sinn macht. Für mich geht die Sonne auf, obwohl es mein Horizont ist, der sich zwangsläufig unter die Sonne senkt. Natürlich kann ich auch hier immer nur das eine oder das andere beobachten wie es Ceccato am Beispiel des Fensters und des Kettenglieds so trefflich beschreibt. Der Standpunkt ist nicht beliebig, sondern bestimmt, wir haben immer nur einen. Was aber tue ich, wenn ich besagte Figur durch Fenster - und was, wenn ich sie durch Kettenglied ersetze? Was tue ich, wenn mir die Sonne aufgeht - und was, wenn mein Horizont sich ihr gegenüber senkt? Ich äussere mich in jedem Fall, aber in jedem Fall anders. In der Äusserung zeigt sich der Standpunkt, auch in der wortlosen der Bäuerin, die die Erdbeerfrucht zu den Beeren legt. Ich finde meinen Standpunkt getreu dem sogenannten ethischen Imperativ den Rolf zitiert hat und äussere mich so, dass sich die Anzahl der Möglichkeiten erhöht. Dabei dienen mir eigentliche Konstruktionen als Vehikel. Sie scheinen mir einzig zu dem Zweck erschaffen zu sein, sie im Sinne sozialer Kompetenz zu gebrauchen. Das gilt selbstredend auch für Wörter, beispielsweise für das Wort Definition. Um den Faden den Rolf gesponnen hat weiterzuspinnen, ersetze ich den Ausdruck Definition durch "eine Beschreibung, die einen Gegenstand durch einen Oberbegriff und ein Kriterium klassifiziert". Aber neben eurer Ersetzungskompetenz interessieren mich auch eure Standpunkte. | ||||||||||||||||||||
ROLF | Vortrefflich, lieber Robert ! So könnte ich auch sprechen. Nur von der andern Seite her hab ich geschaut. Wenn jemand Erdbeeren zu den Beeren legt, erkenne ich den Standpunkt des Marktfahrers, wenn jemand geltend macht, dass Erdbeeren Scheinfrüchte , die Nüsschen tragen sind, erkenne ich den Biologen. Deshalb frage ich nicht nach Standpunkten, sondern nach Ersetzungen. Wenn jemand eine Ersetzung macht, ist diese nämlich immer richtig, von einem Standpunkt aus gesehen. Und gar häufig finde ich Menschen auf einem Standpunkt, den ich von diesen Menschen nicht mit Erfolg in Erfahrung bringen könnte, weil sie ja auch ihren Standpunkt von ihrem Standpunkt aus betrachten. | ||||||||||||||||||||
FREMDER | Das was Robert als "Standpunkt" bezeichnet erinnert mich sehr an
das, was Ceccato "Einstellung" nennt (italienisch: atteggiamento). Eine
ausführliche Beschreibung steht im Buch "Il Punto", Band 2. Ich hoffe, dass wir
später darauf zurückkommen werden. Im Moment möchte ich aber zunächst Rolfs Vorschlag aufnehmen und versuchen zu erklären, wie ich einige von mir verwendeten Wörter ersetzen könnte. Definition Wort Ausdruck Bedeutung Vorstellung Begriff Mentale Operation
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[ Marco krizelt die sieben Ersetzungen in Form einer Komponenten-Hierarchie (wie bei einer Maschine) auf seiner Wachstafel]
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Komponenten-Hierarchie (volle Grösse) O liebe Rolf und Robert, ist dieses Diagramm überhaupt übersichtlicher als die zuvor genannte Liste von Ersetzungen ? Nach der aufwendigen Darstellungsarbeit bin ich mir der Nützlichkeit dieser Grafik gar nicht mehr so sicher ... |
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ROBERT | Nützlichkeit zeigt sich im Gebrauch und so schlage ich vor, zunächst die
beiden vorliegenden Ersetzungen der obersten Hierarchie-Ebene, nämlich (I)"eine
Definition ist eine (a)Beschreibung, die durch einen (b)Oberbegriff und ein (c)Kriterium
einen (d)Gegenstand (e)klassifiziert" und (II)"eine Definition ist (a)eine Folge
von Wörtern, die (b)zusammen dieselbe Bedeutung haben, wie (c)das ersetzte Wort",
auf ihre Nützlichkeit zu prüfen, bevor wir die im Diagramm dargestellte erweiterte
Ersetzungs-Hierarchie näher betrachten. Für den ersten Fall will ich das tun anhand
eines einfachen Beispiels. Ich wende die Ersetzung an auf die bekannte Definition
"ein Tiger ist eine Katze mit Querstreifen im Fell".
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ROLF | Erlaubt mir nur ein Zwischenruf: Wir sollten uns wieder etwas bescheiden, ich verliere die Uebersicht. Darf ich deshalb nochmals zusammenfassen und die Differenz erfragen? Robert schlägt vor, dass eine Definition eine Beschreibung mit Oberbegriff und Kriterium sei. Marco's Formulierung ist viel weiter gefasst. Ich wäre deshalb froh, wenn Marco zeigen würde, weshalb er sich weniger scharf festlegen will. | ||||||||||||||||||||
[ Off Kommentar ...] | |||||||||||||||||||||
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Anmerkungen und Literatur
7 S. Ceccato, B. Zonta, Linguaggio, Consapevolezza, Pensiero. Feltrinelli,
Milano, 1980.
8 Ogden & Richards, The meaning of meaning,1923, p. 246
©1998, Marco C. Bettoni, FHBB - 11.01.99 - 23.04.02