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Von: Marco Bettoni <m.bettoni@fhbb.ch>
An: Rolf Todesco <todesco@compuserve.com>; Robert Ottiger <ottiger@swissonline.ch>
Betreff: progressive truthfulness in Kant?
Datum: Donnerstag, 21. Januar 1999 14:50

Lieber Rolf, lieber Röbi,

Rolf schrieb:

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aus Marcos Antwort an Bruce nehme ich nur die Zusammenfassung

>VIABILITY (TRUTH) OF KNOWLEDGE: The truth of our experiential objects
(i.e.
>that they are not mistakes, not illusions) is determined by the categories
>and lies in their viability, that is in the coherence of consequent mental
>processing.

Ist hier "coherence" etwas anderes als "truth"? Muesste sein,
sonst waer'e sehr zirkulaer, oder ?
Aber ich verstehe den Unterschied nicht.
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Unter Kohaerenz verstehe ich hier, dass die Operanden der mentalen Prozesse
(Vorstellungen, Begriffe, Wahrnehmungen, Erfahrungen, usw.) miteinander
vertraeglich sind, zusammenhaengend, sich nicht gegenseitig ausschliessen,
ein stimmiges Ganzes bilden, usw.
Es geht jedenfalls um einen Vergleich von Operanden mit Operanden (EvG
zitiert oft Berkeley: "you can only compare ideas with ideas"). So wie ich
Maturana verstehe, verwendet er denselben Begriff wenn er sagt: "we in our
operation are the source of validation of what we say", "my explaining is
validated through my coherences of experience", "we explain experience with
experience", usw. [H. Maturana, "Explanations and Reality", Heidelberg,
18.10.1992].


Rolf schreibt weiter:
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Von "truth" zu sprechen, macht doch nur Sinn, wenn sie
unabhängig von mir ist, waehrend die "coherence" ganz eindeutig
von mir geleistet werden muss.
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Auch die "truth" kann von mir geleistet werden, nicht die "ontologische"
sondern die "operationelle".

Schon ein Kind kann das Wort "wahr" verwenden und verstehen, und zwar in
einer Weise die sehr wohl Sinn macht. Er/Sie führt gewisse mentale
Operationen aus und benennt diese mit dem Wort "wahr". Der Begriff "wahr"
leistet für das Kind seine Dienste und ist sehr brauchbar.

Unbrauchbar wird der Begriff "wahr" nur, wenn es "ontologisch" erklärt und
aufgefasst wird.

Ich fasse es aber nicht "ontologisch" auf, sondern "operational".

In der operationalen Auffassung macht es für mich Sinn von "Wahrheit" zu
sprechen wenn ich Kant's Definition nehme, die ich in der gleichen Nachricht
genannt habe ("Die Namenerklaerung der Wahrheit, dass sie naemlich die
Uebereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande sei, ...") und darin
ganz einfach den traditionellen Objekt- und Erkentniss-Begriff mit dem
kritischen Objekt- und Erkenntnis-Begriff nach Kant ersetze.

Die Uebereinstimmung liegt dann im Vergleich zwischen einer Erkenntnis über
ein Objekt (erstes Operand, z.B. "Es regnet") und der Konstitution des
involvierten Objekts (zweites Operand, z.B. Hand aus dem Fenster strecken,
Gefühl von Nässe auf der Hand; danach Vergleich der zwei Operanden und
Schlussfolgerung => "ja, es ist wahr, es regnet").

Da es bei dieser Uebereinstimmung um einen Vergleich von Operanden mit
Operanden ("ideas with ideas") geht, spreche ich von Kohärenz.

Betrachte ich ein einzelnes Operand und seine Geschichte, so spreche ich von
"Viabilität", wenn er sich in seiner Geschichte bewährt. Im obigen Beispiel,
hat sich das Operand "Es regnet" einmal bewährt. er könnte sich aber kurz
danach als unbrauchbar erweisen, wenn ich z.B. aus der Türe gehe, und merke,
dass die Nässe auf der Hand durch tropfende Wäsche aus dem oberen Stock
verursacht wurde ...

Am Ende schreibt Rolf:
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Ich glaube ich habe den Anschluss verloren, weil keine Beispiele
mitgenommen wurden.
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Die ganze Kette der Mails liegt auf unserem Server (siehe
http://www.fhbb.ch/weknow/aqm/coprev99/index.htm). Ich dachte, das könnte
Material für unsere MailTack Experimente liefern.

Uebrigens, bisher hat niemand auf "Engineering Approach" vom 18.1 und auf
"Logic of Truth" vom 20.1 reagiert.

Wahrscheinlich wollen "echte" Philosophen die überschaubare Geborgenheit des
Ansichseienden nicht aufs Spiel setzen durch Verwicklung in die unendliche
Offenheit des Operationalen.

Herzlich,

Marco.


©1999,M.Bettoni,CZM,Fachhochschule beider Basel