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Von: todesco <todesco@compuserve.com>
An: Marco Bettoni <m.bettoni@fhbb.ch>; Robert Ottiger <ottiger@swissonline.ch>
Betreff: Re: Opinion poll: CpR B XVI
Datum: Donnerstag, 14. Januar 1999 11:34

Lieber Marco

> Es ist eine neue Bedeutung. Die kann man nur verstehen, wenn man die KrV
> selber liest und eine viable Interpretation konstruiert. Das ist, was ich
zu
> tun versuche. Ich bezweifle sehr, dass Hegel, Marx, etc. das auch getan
> haben.

Ich kenne keine neuen Bedeutungen, weil jede Bedeutung neu ist. Ich kann
die andern nicht verstehen. Für mich ist viabel, mir nicht einzubilden, ich
hätte einen andern Menschen verstanden. Wenn ich sehe, was verschiedene
"Bekannte" von mir mit Kant gemacht haben (zB die Konrad Lorenz Schule)
oder
wenn ich sehe, wie verschieden Piaget gelesen wird, dann ist für mich nur
die kybernetische Formulierung viabel: Der Leser/Hörer entscheidet die
Bedeutung. Das Gesagte/Geschriebene bedeutet nichts.

Wenn nun jemand versucht herauszufinden, ob andere dieselbe Interpretation
haben, wie er selbst, wie kann er das tun? Er kann fragen, dann bekommt
er Antworten. Diese Antworten sind wieder Gesagtes/Geschriebenes, die
an sich nichts bedeuten.

> Könntest Du mir ein paar Stellen in der KrV nennen, die Deiner Menung
nach
> "paradox" sind und Dein Urteil begründen ?
Die Idee des "an sich" ist paradox, sie führt zu einem notwendig falschen
Bewusstsein, das - was auch notwendig damit verbunden ist - als solches
erkannt werden kann.
Also etwas paradoxeres kann ich mir gar nicht vorstellen.

Aber um es nochmals in meiner Formulierung zu sagen: Jede Paradoxie
gründet darauf, dass der Beobachter, der die Aussage macht, weggelassen
wird. Im Falle von Kant: Wie kann jemand ein falsches Bewusstsein haben,
und erkennen, dass er ein falsches Bewusstsein hat ?

Und Hegel und Marx solltest Du nicht unterschätzen. In der Philosophie ist
klar (common sense), dass schon der junge Hegel in der Phänomenologie
den ganzen Kant abgeräumt hat. Kant wird nur von Naturwissenschaftern
(wie Piaget und Lorenz) richtig gepflegt.
Snow hat dafür den intellektuellen Röstigraben formuliert. Und ich erlebe
natürlich auch zwischen uns die Verkehrung: Naturwissenschafter, die der
Schule ein wenig entwachsen sind, interessieren sich für philosophische
Fragen, Philosophen, die der Schule ein wenig entwachsen sind,
interessieren
sich für technische, praktische Fragen.

Ist es nicht ausserordentlich erstaunlich, dass sich in unserer Welt jeder
für
das interessiert, was er gerade absichtsvoll nicht studiert hat ?

Bis bald,

Rolf


©1999,M.Bettoni,CZM,Fachhochschule beider Basel